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Die vierte Geschichte

vom schneeweißen Schaumichankleid und von den gläsernen Trippelschuhen

Rote Lippen - aber grelle
Zwei Pfund Schminke - Dauerwelle

Die Kinder hatten sich zum Rumhängen bei der Liebeslaube verabredet. Natürlich war Mondkind die erste und keine Sonnenkinder weit und breit. Also setzte sie sich auf die erste Stufe und wartete und lauschte dem Morgengesang der Vögel. Da kam auf einmal ein Wagen um die Ecke gefahren, der hielt an, die Wagentüren gingen auf und heraus kamen drei alte Herren.

Die alten Herren mußten ziemlich schwer an einem großen, weißen Ding tragen, und dieses Ding schleppten sie mühsam bis zur Liebeslaube und stellten es gleich neben Mondkind auf die erste Stufe, und da erst sah Mondkind, daß es kein Ding, sondern ein großes Mädchen in einem langen, weißen Schaumichankleid war, was die alten Herren da getragen hatten.

»Buh, buh, buh! Bah, bah, bah!« sagten die alten Herren, »Die häßliche Kröte muß weg!« Und da lachte das Mondkind, denn es war ja nirgends eine häßliche Kröte zu sehen.

Das große Mädchen aber war wunderschön. Es hatte lange goldene Locken und große himmelblaue Augen, und sein Mund leuchtete fast so rot wie Mondkinds rotes Käppchen. Um seinen schlanken Hals trug das Mädchen ein feines goldenes Verliermichnichtkettchen, und sieben goldene Diamantringe schmückten seine zarten Hände. Am schönsten aber waren die gläsernen Trippelschuhe, die das Mädchen an seinen zierlichen Füßen trug, und durch das feine, klare Glas konnte man sehen, daß selbst seine Fußnägel einen goldenen Glanz hatten.

»Guten Tag«, sprach das Mondkind zu dem Mädchen, »ich bin ein Mondkind, und welche Sorte Kind bist du?« - »Püh, püh, püh«, antwortete das Mädchen, »bin gar kein Kind, bin eine junge Dame.«

Die junge Dame drehte ihren Kopf zur Seite und reckte ihre Nase in die Höhe, und Mondkind war ein wenig traurig, daß dieses schöne Mädchen, das eine junge Dame war, gar nicht mit ihr reden wollte.

Die alten Herren waren inzwischen wieder zu ihrem Wagen geschlurft, und nun kamen sie zurück, und sie brachten ein zweites Mädchen mit und stellten es auf die zweite Stufe.

»Buh, buh, buh! Bah, bah, bah!« sagten die alten Herren, »Die häßliche Kröte muß weg!« Und da lachte das Mondkind, denn wo sollte die häßliche Kröte sich wohl versteckt haben?

Das zweite Mädchen war ebenso schön wie das erste. Ja, es sah genau gleich aus, man konnte es überhaupt nicht von dem ersten Mädchen unterscheiden. Sicher war das Mädchen auch eine junge Dame.

»Guten Tag«, sprach das Mondkind zu dem zweiten Mädchen, »ich bin ein Mondkind, und du bist bestimmt eine junge Dame?« Aber auch diese junge Dame wollte nicht mit Mondkind reden, sie sagte nur »Püh, püh, püh!«, drehte ihren Kopf zur Seite und reckte ihre Nase in die Höhe.

Es dauerte eine ganze Weile, bis die alten Herren ein drittes Mädchen gebracht hatten, und dieses stellten sie auf die dritte Stufe. Das dritte Mädchen war ein wenig dicker als die anderen, und an seinen Händen trug es nicht sieben, sondern nur vier goldene Diamantringe. Aber sonst war es ganz genauso schön wie die anderen Mädchen.

»Buh, buh, buh! Bah, bah, bah!« sagten die alten Herren, »Die häßliche Kröte muß weg!« Und da lachte das Mondkind, denn die alten Herren glaubten wohl, die häßliche Kröte säße unter Mondkinds rotem Käppchen.

Das Mondkind verschandelt das schöne Bild
»Buh, buh, buh! Bah, bah, bah!« sagten die alten Herren, »Die häßliche Kröte muß weg!« Das Mondkind verschandelt das schöne Bild

»Guten Tag«, sprach das Mondkind zu dem dritten Mädchen, »ich bin ein Mondkind, und du bist bestimmt eine junge Dame, und ich möchte gerne wissen, was eigentlich eine junge Dame ist?« - »Eine junge Dame«, sagte das dritte Mädchen, »ist etwas sehr Feines, und du wirst niemals eine junge Dame sein, weil du nämlich eine häßliche Kröte bist, und die häßliche Kröte muß weg! - Püh, püh, püh!« Dann drehte auch die dritte junge Dame ihren Kopf zur Seite und reckte ihre Nase in die Höhe.

Das waren böse Worte, und ohne ihr rotes Käppchen wäre Mondkind sicher traurig geworden und hätte geweint, so aber lachte sie nur: »Ha, ha, ha, ich glaube, ihr seid keine jungen Damen, sondern dumme Damen, und eure alten Herren sind keine alten Herren, sondern alte Narren, sonst würden sie doch sehen, daß ich schön bin wie der silberne Mond!«

»Ki, ki, ki! Ki, ki, ki!« lachten da die jungen Damen, »Sie ist schön wie der silberne Mond! Hat man so etwas je gehört? Häßlich wie die Nacht ist sie! Ki, ki, ki! Ki, ki, ki!«

»Buh, buh, buh! Bah, bah, bah!« sagten die alten Herren, »Die häßliche Kröte muß weg!« Und lachte da das Mondkind?

»Nein«, sprach das Mondkind, »die häßliche Kröte bleibt, denn die häßliche Kröte war zuerst hier, und die häßliche Kröte ist mit den Sonnenkindern verabredet, und die werden bald kommen, und wir werden den ganzen Tag bei der Liebeslaube rumhängen!«

Was sollten die alten Herren nun aber machen. Sie hätten Mondkind gerne fortgejagt, aber wie sollten sie das tun, denn angst konnten sie Mondkind nicht machen, sie waren ja so alt, und Mondkind war ein so flinkes Kind, besonders wenn sie ihre zitronengelben Springstiefel anhatte. Nein, sie mußten es mit einer List versuchen.

»Mein gutes Kind«, sprach da einer der alten Herren mit süßlicher Stimme zu Mondkind, »wir sind ja nur drei freundliche alte Herren, und wir möchten die netten jungen Damen gerne hier vor der schönen Liebeslaube fotografieren. Darum bitten wir dich herzlich, nur ein wenig an die Seite zu gehen, damit du nicht mit auf die Fotografie kommst. Es dauert nicht lange, und wenn die Sonnenkinder kommen, sind wir längst wieder fort. Du bist doch sicher ein liebes Kind und weißt, daß du zu den alten Herren nett und freundlich sein mußt.«

»Ja«, antwortete Mondkind, »alle Kinder müssen nett und freundlich zu den alten Herren sein, und darum bin ich jetzt so nett und freundlich und bleibe nett und freundlich hier sitzen und warte nett und freundlich auf die Sonnenkinder und das tue ich nur, weil ihr so nett und freundlich wart und mich eine häßliche Kröte genannt habt. Püh, püh, püh!« Und Mondkind drehte ihren Kopf zur Seite und reckte ihre Nase in die Höhe.

»Nein, nein, nein!« riefen die alten Herren da ganz aufgeregt durcheinander, »liebes Kind, das haben wir niemals gesagt, das mußt du falsch gehört haben, wir haben etwas ganz anderes gesagt, wir sagten ... es war ...« Die alten Herren mußten lange stottern, bis ihnen endlich das richtige eingefallen war: »Liebliche Elfe, ja, eine liebliche Elfe haben wir dich genannt, und das haben wir gesagt, weil du schön bist wie der silberne Mond.« - »Tüh, tüh, tüh!« sagten die jungen Damen.

»Na gut«, sagte Mondkind endlich, »dann habe ich wohl vergessen, mir die Ohren zu waschen, und wenn ihr so etwas Nettes zu mir gesagt habt, dann will ich euch nicht länger stören und fein an die Seite gehen, damit ihr in Ruhe fotografieren könnt, denn wenn die Sonnenkinder erst einmal hier sind, dann ist es mit der Ruhe vorbei.« Und das wußten die alten Herren auch. Sie bedankten sich allerliebst bei Mondkind und begannen dann so eilig, wie sie es eben konnten, ihren Fotoapparat aufzustellen.

Die alten Herren erklärten den jungen Damen, wie sie sich drehen und biegen sollten, damit es für die Fotografie besonders hübsch aussähe, und das war für die jungen Damen gewiß nicht leicht, denn mit ihren langen und engen Schaumichankleidern und mit ihren gläsernen Trippelschuhen konnten sie sich kaum bewegen.

»Es wäre doch wunderschön«, sagte auf einmal einer der alten Herren, »wenn die jungen Damen auf einem Bein stünden.« Und so mußten die jungen Damen also ihr linkes Bein ein wenig anheben, und wenn die alten Herren sie nun gleich fotografiert hätten, dann wäre das Unglück vielleicht nicht geschehen. Aber das Lächeln war nicht richtig: Die erste junge Dame lächelte zu breit, die zweite junge Dame lächelte zu schief und die dritte junge Dame, die etwas dickere, die wollte überhaupt nicht lächeln, im Gegenteil, sie sah furchtbar unglücklich aus. Und dann machte es auf einmal »Krick!« und »Pardauz!« und die dritte junge Dame war alle drei Stufen hinabgefallen, und nun lag sie bäuchlings vor der Liebeslaube, und sie schrie ganz laut und fürchterlich: »Fih, fih, fih! Es tut so weh, es tut so weh!« Ihr gläserner Trippelschuh war nämlich zerbrochen, und ein großer Splitter steckte in ihrem rechten Fuß.

»Buh, buh, buh! Bah, bah, bah!« sagten die alten Herren, »Ersatz muß her!« Und eilig, so eilig, wie sie es eben konnten, schlurften die alten Herren zu ihrem Wagen, und dort holten sie ein viertes Mädchen hervor, das ein wenig dünner als die anderen Mädchen war, und stellten es auf die dritte Stufe, so, wie sie es zuvor mit dem dritten Mädchen getan hatten. Das dritte Mädchen aber stießen sie fort und ließen es einfach am Boden liegen.

Ach, wie jämmerlich sah dieses Mädchen nun aus! Sein schönes, schneeweißes Schaumichankleid war vom Sturz ganz zerrissen, und es war nicht mehr schneeweiß, sondern schmutziggrau. Und die schönen Farben in seinem Gesicht waren von lauter Tränen ganz zerflossen. Und endlich hatte es auch noch das feine goldene Verliermichnichtkettchen verloren. »Fih, fih, fih!« weinte das arme Mädchen leise, »Es tut so weh, es tut so weh!«

Als Mondkind sah, daß sich niemand um das arme Mädchen kümmern wollte, da eilte sie zu ihm, nahm es in den Arm und sprach zu ihm auf eine Weise, wie sie es oft von der Mutter gehört hatte: »Weine nicht mehr liebes Kind, ich bin ja nun bei dir und bald wird alles wieder gut. Zuerst müssen wir aber den Splitter aus deinem Fuß ziehen.« - »Fih, fih, fih!« schrie das Mädchen laut, »Es tut so weh, es tut so weh.« - »Warte«, sagte Mondkind nach einer Weile, »gleich wird es nicht mehr weh tun.« Und obwohl die Mutter es verboten hatte, nahm Mondkind ihr rotes Käppchen ab und setzte es dem armen Mädchen auf den Kopf. - »Oh!« sagte das Mädchen, denn im Nu war der Schmerz verschwunden, und geschwind hat Mondkind den Splitter herausgezogen, und das Mädchen hat überhaupt nichts davon gespürt.

»Mondkind, wo bist du?« rief das Mädchen verwundert. - »Hier bin ich«, sagte Mondkind, »ich bin ja ein Mondkind, und wenn ich mein rotes Käppchen nicht aufhabe, kannst du mich nicht sehen.« - »Oh!« sagte das Mädchen und Mondkind sprach weiter: »Eine Weile mußt du mein rotes Käppchen noch auf dem Kopf behalten, bis die Wunde an deinem Fuß nicht mehr blutet. Aber ich glaube wohl, du brauchst ein neues Schaumichankleid und neue Trippelschuhe, damit du wieder wie eine junge Dame aussiehst.« - »Fih, fih, fih!« weinte das Mädchen, »Bin keine junge Dame mehr, bin ein gefallenes Mädchen, und gefallene Mädchen kommen in den Keller.«

»O weh«, dachte Mondkind bei sich, »das ist schlimm.« Und Mondkind nahm das Mädchen noch einmal fest in den Arm, als dann aber die Sonnenkinder gekommen sind, da hat Mondkind ihr rotes Käppchen schnell wieder aufgesetzt, und die alten Herren haben die jungen Damen zurück in den Wagen gebracht, und dann sind sie abgefahren. Das gefallene Mädchen aber mußte zu Fuß hinterdrein humpeln.

Den ganzen Tag haben Mondkind und die Sonnenkinder bei der Liebeslaube rumgehangen, und sie haben Quatsch gemacht und geplaudert, und Mondkind hat den Sonnenkindern von den jungen Damen und den alten Herren erzählt, und die Sonnenkinder haben herzlich gelacht. »Aber«, hat das Mondkind zum Schluß gesagt, »die jungen Damen waren wirklich so wunderhübsch, daß ich mir wünschte, ich könnte auch eine junge Dame sein.«

Das soll ich gesagt haben?

Etwas war mit Mondkind geschehen. Die Sonnenkinder hatten die jungen Damen schon am nächsten Tag vergessen. Mondkind aber träumte jede Nacht von goldenen Kettchen und goldenen Diamantringen und von schneeweißen Schaumichankleidern und gläsernen Trippelschuhen, und wenn sie am Tage mit den Sonnenkindern spielte, da war es nicht mehr so, wie es früher war, und eines Tages wurde Mondkind krank.

Kein Wunder, immer diese schrecklichen Träume!

Mondkind wollte ihr rotes Käppchen nicht mehr aufsetzen. Und auch die zitronengelben Springstiefel und das pfefferminzgrüne Fledermaushemd wollte sie nicht mehr anziehen. Nein, Mondkind blieb einfach in ihrem Bett liegen, und das vergnügte Lächeln um ihren Mund und das lustige Zwinkern in ihren Augen waren verschwunden.

Mein rotes Käppchen wollte ich nicht mehr aufsetzen? Das rote Käppchen ist mein ganzes Lebensglück!

Am Abend legte Mondkind das rote Käppchen, die zitronengelben Springstiefel und das pfefferminzgrüne Fledermaushemd in einen großen Karton, brachte alles zusammen in den Keller und stellte es dort in ein Regal. Dann blieb sie noch eine Weile vor dem Regal stehen, und da hörte sie auf einmal ein leises »Fih, fih, fih!« Und richtig, es war das gefallene Mädchen, das in der Ecke hinter dem Regal saß und weinte.

O weh!

Das Mädchen konnte Mondkind nicht sehen, bis auf einmal ein silberner Mondstrahl durch das Kellerfenster schien. Da erschrak das Mädchen ein wenig, doch dann erkannte es Mondkind und wimmerte: »Bitte, bitte, liebes Mondkind, bleib noch ein Weilchen bei mir und sprich mit mir. Es ist so kalt und so einsam hier im Keller. Ach, ich bin ja so unglücklich.«

Ja, das ist schlimm!

»Du mußt nicht unglücklich sein«, sprach das Mondkind zu dem Mädchen, »denn du bist einmal eine junge Dame gewesen und du kannst immer daran denken, wie schön es war, eine junge Dame zu sein. Ich aber werde nie eine junge Dame sein, und deshalb habe ich keine Freude mehr an meinem Leben. Ja, sogar mein rotes Käppchen mag ich nicht mehr aufsetzen.«

Aber ich wollte doch niemals eine junge Dame sein!

»Ach«, rief das gefallene Mädchen ganz überrascht, »weißt du denn nicht, daß die alten Herren dich suchen? Sie wollen eine junge Dame aus dir machen!«

Bloß nicht!

»Aber«, sprach das Mondkind, »die alten Herren mögen mich nicht leiden, sie haben mich eine häßliche Kröte genannt.«

Und sie sind doch alte Narren!

»Das war nur, weil du immer diesen häßlichen roten Hut getragen hast. Ohne den roten Hut siehst du eigentlich ganz hübsch aus.«

Du meinst doch wohl nicht mein rotes Käppchen?

»Aber«, sprach das Mondkind, »ohne mein rotes Käppchen können die alten Herren mich nicht sehen.«

Eben!

»Wohl können sie dich sehen, die alten Herren haben ja eine Mondlichtlampe.«

Tüh, tüh, tüh!

»Oh«, sprach das Mondkind, »aber was muß ich tun, wenn ich eine junge Dame werden will?«

Ich will aber nicht!

»Du brauchst ein schneeweißes Schaumichankleid, und du brauchst gläserne Trippelschuhe, und weiter brauchst du nichts. Dann gehst du zu den alten Herren in den dritten Stock, und alle drei werden dir einen goldenen Diamantring schenken, und dann bist du eine junge Dame. Von Zeit zu Zeit werden die alten Herren dir dann wieder und wieder einen goldenen Diamantring schenken, und wenn du zehn goldene Diamantringe zusammen hast, dann bist du eine Königin. Aber paß auf, daß du niemals fällst, denn was dann geschieht, das hast du ja an mir gesehen.«

Ja, dumme Gans!

»So einfach ist es! So einfach ist es!« rief das Mondkind und »Ich werde eine Königin, eine richtige Königin kann ich werden!« Mondkind klatschte vor Freude in die Hände. Schnell stürmte Mondkind die Treppe hinauf in die Wohnung, und die Mondkindmutter wunderte sich, daß ihre Tochter wieder so fröhlich war, und dann erzählte Mondkind der Mutter, was sie von dem gefallenen Mädchen erfahren hatte und daß sie bald eine Königin werden könne, und da rief die Mutter voller Freude: »Unser Mondkind ist nicht krank, unser Mondkind ist ja kerngesund, und es wird eine junge Dame, wie schön, wie schön!« Und auch der Mondkindvater freute sich sehr. »Denn«, so erklärte er, »wenn mein Mondkind bei den alten Herren ist, kann es ja nicht mehr mit diesen gräßlichen Sonnenkindern rumhängen.«

Wehe, wenn das die Sonnenkinder hören!

Der Mondkindvater und die Mondkindmutter kauften ihrer Tochter ein wunderschönes, schneeweißes, langes und enges Schaumichankleid und ein Paar feine gläserne Trippelschuhe, und das wunderbare an den Trippelschuhen war ja, daß sie niemals paßten, sondern immer eine Nummer zu klein waren. So wurden Mondkinds Füße also von Tag zu Tag kleiner gedrückt. Das tat zwar furchtbar weh, aber es war gut so, denn für eine junge Dame waren Mondkinds Füße eigentlich schon viel zu groß gewachsen.

Kennt ihr übrigens das gläserne Trippelschuhlied?

Zum Abschied schenkte die Mutter dem Mondkind noch ein feines goldenes Verliermichnichtkettchen, und sie küßte ihre Tochter und sprach: »Mein liebes Kind, du mußt immer gut auf dieses feine Kettchen achten, daß du es nicht verlierst, denn wenn du es verloren hast, dann hast du auch meine Liebe und die Liebe deines Vaters verloren, und du darfst niemals zu uns zurückkehren.« - »O danke liebe Mama«, sagte da das Mondkind, und es strahlte vor Freude über sein ganzes Gesicht, »so ein schönes Kettchen, das werde ich bestimmt niemals verlieren.«

Nein, solch ein Kettchen wollt ich nicht!

Dann trugen der Vater und die Mutter ihr Mondkind die Treppe hinauf, bis in den dritten Stock, und sie klingelten bei den alten Herren an der Tür. Die Tür ging auf, und die alten Herren kamen heraus, und sie holten ihre Mondlichtlampe, und als sie Mondkind sahen, da hätten sie beinahe einen Freudensprung gemacht, wenn sie nur nicht so schrecklich alt gewesen wären. Und immer wieder riefen sie: »Unsere liebliche Elfe ist gekommen, unsere liebliche Elfe ist gekommen!« Und: »Sie will eine junge Dame werden! Sie will eine junge Dame werden!«

Ob mein rotes Käppchen wohl gegen böse Träume hilft?

Die alten Herren schenkten dem Mondkind jeder einen feinen goldenen Diamantring, und Mondkind durfte bei den alten Herren bleiben, und sie ist eine richtige junge Dame geworden, und ...

Und, und, und; Schluß mit »und«! Ich hole jetzt mein rotes Käppchen und ziehe meine zitronengelben Springstiefel an, und ich springe nach ganz oben aufs Dach, wo wahrscheinlich der dumme Dichter wohnt, und ich drehe das rote Käppchen um und halte es unter den Wasserhahn und lasse es voll Wasser laufen. Man glaubt gar nicht, wieviel Wasser in so ein rotes Käppchen geht! So, bis zum Rand. Und dann schleiche ich mich langsam von hinten an, der dumme Dichter kann mich ja nicht sehen, ganz langsam, daß nichts überschwappt, so, und dann: »Platsch!«

... und wie die Geschichte ausgegangen ist, das werdet ihr nie erfahren, denn eine Sintflut ist gekommen und hat alles davongespült.

Und in meine rote Käppchenliste schreibe ich: »Manchmal braucht man das rote Käppchen auch, wenn man einem dummen Dichter den Kopf waschen muß.«