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Anhang A

über den Autor

Natürlich möchte ich alles über den Autor wissen. Wer er ist, woher er kommt. Ein Foto wäre gut. Das Alter, Familienstand, ist er verheiratet, hat er Kinder? Und was treibt er so, wenn er nicht gerade schreibt. Vom Schreiben kann er doch nicht leben. Ist er gebildet, vielleicht ein Gelehrter? Dummköpfe gibt es ja genug. Das menschliche Umfeld ist wichtig. Hat er Freunde oder Feinde? Wo wohnt er? Lebt er in einem Palast, oder verrottet er in irgendeinem Loch? Ist er bei klarem Verstand, oder treibt ihn der Wahnsinn? Ist er religiös oder ein Freidenker? Gehört er gar einer Sekte oder einem Geheimbund an? Das muss ich doch wissen, bevor ich lese, was er da geschrieben hat. Wenn ich nun wüsste, dass seine Werke von vielen klugen Leuten gelesen und gar noch mit Lob bedacht werden. Hat er Preise gewonnen? Wie hoch sind seine Auflagen? Man will doch etwas davon haben, wenn man seine Aufmerksamkeit verschenkt. Will sagen: seht her, das habe ich gelesen! Will klug aus seinen Werken zitieren. Wer bitte hat das gesagt? Nein, nein, schön dumm würde man dastehen. Und so einer, der hat ja vielleicht noch gar nichts veröffentlicht! Und unbekannt! Ich will doch vorher wissen, auf was ich mich einlasse. Wo soll ich mich denn informieren, wenn ihn keiner kennt? Man legt ja schließlich Wert auf Niveau. Und woher soll ich wissen, ob etwas Niveau hat? Bei so wichtigen Dingen braucht man doch Rat und Beistand. Wo kämen wir denn da hin, wenn das jeder selbst entscheiden würde? Soll er doch erstmal seine Karten auf den Tisch legen!

Die ersten sechs Jahre meines Lebens habe ich in Düsseldorf verbracht. Genauer gesagt gab es dort einen kleinen Garten, in dem ein kleines Gartenhaus stand, in dem wir, d.h. meine Eltern, ein großer Bruder und später noch zwei kleine Schwestern lebten. Damals konnte ich allerdings noch nicht ahnen, wie klein der Garten war und so fand ich darin eine Menge magischer Orte und ich habe dort mit einem Blechlöffel den Kern der Erde entdeckt. In dem Garten war auch eine Mauer und hinter der Mauer ..., aber das würde an dieser Stelle zu weit führen.

Nachdem die erste, ach so kleine Welt durchforscht war, kam ein willkommener Wechsel: der Auszug meiner Familie aus der Enge des rheinländischen Gartens in die Weite des norddeutschen Tieflandes. Es gab ein neues Haus am Waldrand einer kleinen Stadt. Es gab sommerliche Streifzüge durch den Wald, herbstliche Drachenflüge, winterliche Schlittenfahrten, Schneeballschlachten. Es gab einen Fluss, klein, unbedeutend zwar, doch hatte der Rhein je meinen Garten erreicht? - Dieser Fluss aber war da. Magische Orte an seinen Ufern. Tümpel durchwimmelt von Fischen und Fröschen. Die Autobahn. Und eine neue Erfahrung: die fremde Sprache.

Es folgte ein weiterer Umzug. Nicht weit. Der kleine Fluss blieb derselbe. Ein Haus inmitten eines Dorfes, von Gärten umringt. Gärten ohne Mauern. Dafür Zäune und Hecken. Igel. Fledermäuse. Der Wald außerhalb des Dorfes. Felder, Wiesen, Äcker. Pferde, Kühe, Schafe. Das Moor ist ein magischer Ort. Es gab Fahrräder. Eine Kamera, die Entdeckung der Fotografie. Fotografiere niemals Menschen, unterschätze nicht die Magie des Bildes. Warten auf Züge an Bahnhöfen. Mechanische und elektrische Experimente auf dem Dachboden. Eine dritte Schwester, noch kleiner. Ich schrieb unsägliche Gedichte und Kurzgeschichten. Von Schäfchen und Entchen. Unsäglich.

Als die fremde Sprache unerträglich wurde, wandte ich mich den Naturwissenschaften zu. Ich lebte in einer Studentenbude in Hannover, wo ich an der Universität Physik studierte. Wochenlanges Durchkreuzen mit dem Fahrrad wandelt die Stadt in einen bewohnbaren Ort. Es gab einen Wald, einen Fluss und einen Kanal in der Mitte des Landes. Magische Orte am Fluss. Es gab Wiesen, Teiche, Tümpel, Moore. Aber auch: Stahl, Asphalt, Steine, Glas. Es gab ein altes Schloss und einen großen Garten. Schreibe niemals von Menschen, unterschätze nicht die Magie der fremden Sprache.

Eine andere Sprache brachte mir Reichtum: die Maschinensprache. Ich schrieb Maschinengedichte. Anweisungen. Computerprogramme. Unsäglicher zwar, als meine früheren Werke, doch besser bezahlt. Damit verbunden ein Wechsel nach Hamburg. Stundenlange Autobahnfahrten durch das norddeutsche Tiefland. Es gab eine eigene Wohnung, ein eigenes Auto. Das Fahrrad, unersetzlich, wandelt die Stadt in einen bewohnbaren Ort. Eine bekannte Stimme und die erste Erscheinung des Mondkindes. Auch Hamburg: Stahl (mehr Stahl) Asphalt, Steine, Glas. Aber auch: Felder, Wiesen, Wälder, Berge, Moore, Heiden, Strände, Dünen, Flüsse, Gärten, Brücken, der Hafen und der Fluss, ein magischer Ort. Die fremde Sprache flüstert mir ins Ohr.

Die Sprache ist mir fremd geblieben. Und dennoch wollte ich weiter schreiben. Ab und zu wenigstens. Worte finden, vielleicht auch Sätze bilden. Aber die Gefahr ist groß entdeckt zu werden. Mein Haus scheint mir kein sicherer Ort mehr. Zerreißen, verbrennen, auslöschen ist nicht meine Art, am Ende sind es doch meine Kinder. Bleibt die Hoffnung auf's Internet. Unempfindlich gegen nukleare Katastrophen, wohl einer der sichersten Orte. Sicher genug um einen Schatz für alle Zeiten zu verbergen.